Kollwitz 66 by Dieter Krause

Kollwitz 66 by Dieter Krause

Autor:Dieter Krause
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Schöffling & Co.
veröffentlicht: 2017-02-06T16:00:00+00:00


Mit Herberger auf der Tribüne

Im »Neuen Deutschland« vom 4. August 1960 war es der Aufmacher: »Rad-Weltmeisterschaft in Leipzig feierlich eröffnet – Glanzvolle Premiere mit Erich Honecker und Minister Lemmnitz«. Die eigentlich imposante Figur war zwar Adriano Rodoni, der langjährige Präsident des Weltradsportverbandes UCI, der mit seiner Ansprache für das internationale Flair gesorgt hatte, doch das Zentralorgan sah sich natürlich verpflichtet, die eigenen Kader ganz vorn zu platzieren. Es ändert nichts: An Honeckers Auftritt bei der Eröffnungsfeier habe ich keinerlei Erinnerungen, obwohl ich dabei war. »Glanzvoll« stimmt. Für mich wurden die anschließenden Ferienwochen unvergesslich. Mit glücklichen Tagen und einem sehr unglücklichen. Und beides, das Gute wie das Böse, hing mit jener Radweltmeisterschaft zusammen, vereint, wie in einem Märchen.

Gleich Anfang August fuhren wir nach Leipzig, dem Ort der Bahnwettkämpfe. Mein Vater war mit den Vorbereitungen beschäftigt, und wir, meine Mutter und ich, durften mit. Auch bei ihm im »Park-Hotel«, nicht weit vom Hauptbahnhof, wohnen. Einfach so, während der gesamten Leipziger Renntage. Das war nicht ungewöhnlich, es ging weiterhin recht familiär zu in den Radsportkreisen damals. Feine Unterschiede gab es dennoch. Die ganz Wichtigen logierten im edelsten Haus am Platz, dem »Astoria«. Das Hotel war in den Jahren zuvor mit viel Aufwand neu ausgebaut worden. Es machte einen sehr noblen Eindruck. In der Empfangshalle hielten die UCI-Funktionäre und die internationalen Radgrößen Hof – so wie die italienische Nationalmannschaft. Meine Italiener.

Ihnen gehörte nach wenigen Rennen meine ganze Gunst. War es ein Ost-Reflex auf die anhaltende Italienverrücktheit der Westdeutschen? Ein wenig vielleicht. Vor allem haben sie mich sportlich verblüfft. Doch zunächst hatte ich eine Sternstunde, gleich am ersten Tag an der Alfred-Rosch-Kampfbahn, der WM-Piste. Die Jurymitglieder, die hinter mehreren Tischreihen direkt auf Höhe des Zielstrichs saßen, merkten plötzlich, dass die Ergebnislisten mit den jeweiligen Platzierungen und Zeiten viel schneller zur Vervielfältigung müssen. Ein Fußweg, treppauf, treppab, von knapp 80 Metern. Sie brauchten einen Boten. Sie brauchten mich! Ohne Umschweife wurde die Idee mit meinem Vater besprochen und ich in den Stand eines Fahrers, eines »Coureur«, gehoben. Das stand auf der offiziellen Medaille, die ich überreicht bekam, ausgestattet mit der Allmacht eines Backstage-Passes. Jippi-Jippi-Yeah! Nun saß ich in der dritten Reihe der Jury, direkt neben den Treppenstufen. Ein Privileg. Die Ordner hatten anfangs Probleme damit: »Gib mal die Medaille her, die hast du doch gefunden!«

Ich holte meinen Vater, und der erklärte ihnen flink meine Botenrolle. Danach war klar:

»Der Junge kommt durch!«

Nun musste ich mich nur noch anstrengen – nach jedem Rennen mit dem mir zugesteckten Zettel die vielen Steinstufen hoch spurten, ihn abliefern, und mich beeilen, um beim nächsten Start zurück zu sein. Das blieb natürlich die Krönung: die Wettrennen erleben, auf meinem Traumplatz. Ich war so glückselig, dass ich erst am Abend im Hotel merkte, wie sehr mich der Einsatz geschlaucht hatte. Am nächsten Tag ging’s weiter. Treppauf, treppab.

Meinem Vater war ich eine große Hilfe – endlich mal. Er war, wie bei der Friedensfahrt, für die Vervielfältigung der Ergebnislisten verantwortlich, musste mit seinen Mitarbeitern dafür sorgen, dass diese so schnell wie möglich der Presse, den Offiziellen und den Mannschaftsleitungen vorlagen.



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